Best-of-5: Galdhøpiggen oder Zugspitze?

<Höchster Berg Skandinaviens oder höchster Berg Deutschlands? Bei dieser Frage ist es ausnahmsweise mal von Vorteil, wenn man in Hamburg, statt in Bayern oder Baden-Württemberg wohnt. Schließlich sind dann beide Gipfel fast gleich weit entfernt: Rund 700 Kilometer Luftlinie trennen Hamburg von der Zugspitze. Bis zum Galdhøpiggen in Norwegen sind es mit knapp 900 Kilometern nur etwas mehr. Die Entscheidung für den einen oder anderen Berg kann also getrost auf Basis anderer Kriterien getroffen werden. Hier ein St. Bergweh typisches – ganz objektiv subjektives – Best-of-Five:

Hast du kein Bergweh, dann bekommst du es jetzt – oder spätestens, wenn die Wolken durchgezogen sind
Hast du kein Bergweh, dann bekommst du es jetzt – oder spätestens, wenn die Wolken durchgezogen sind

1. Alpine Fakten
Sowohl die Zugspitze als auch der Galdhøpiggen sind die höchsten Erhebungen ihres jeweiligen Landes. Letzterer sogar ganz Skandinaviens. Das war jedoch nicht immer so. In der unrühmlichen deutschen Kolonialzeit (bis 1918) war der Kilimandscharo mit 5.895 Metern der offiziell höchste Berg der Deutschen. In der noch viel unrühmlicheren Zeit von 1938 bis 1945 konnte der Großglockner mit seinen 3.798 Metern diesen Titel für sich beanspruchen. Und je nachdem in welchem Teil Deutschlands man aufgewachsen ist, schaute man gute 40 Jahre zu dem 1.215 Meter hohen Fichtelberg im sächsischen Erzgebirge auf, statt zur Zugspitze. Spätestens seit 1990 und der deutschen Wiedervereinigung ist jedoch die Zugspitze mit ihren 2.962 Metern Deutschlands höchster Berg.
Nicht ganz so wechselhaft ging es in Norwegen zu. Trotzdem gilt der Galdhøpiggen mit seinen 2.469 Metern erst seit den 1980er Jahren als höchster Berg Norwegens. Zuvor kam diese Ehre dem ebenfalls im Jotunheimen Gebirge gelegenen Glittertind zuteil. Dessen Gletscherkuppe ist jedoch so stark abgeschmolzen, dass der Titel an den Galdhøpiggen überging. Mit spitzer Zunge formuliert, kann sich der Galdhøpiggen also als einer der wenigen Gewinner der Klimaerwärmung sehen.

Das Zugspitzmassiv ist schon eine beeindruckende Erscheinung – vor allem, wenn man sie so gut sieht wie an diesem Spätwintertag
Das Zugspitzmassiv ist schon eine beeindruckende Erscheinung – vor allem, wenn man sie so gut sieht wie an diesem Spätwintertag

Nach diesem kleinen Exkurs, nun zu den relevanten Fakten. Die Zugspitze ist fast 500 Meter höher als der Galdhøpiggen. Sie wurde auch eher bestiegen (1820 vs. 1850). Auf die Zugspitze führen gleich zwei Seilbahnen und eine Zahnradbahn, auf den Galdhøpiggen keine einzige. In puncto Dominanz, also dem Abstand zum nächsten, mindestens gleich hohen oder höheren Berg, kann die Zugspitze dem Galdhøpiggen jedoch bei weitem nicht das Wasser reichen (26 vs. 1.568 Kilometer). Trotzdem – und vielleicht auch wegen ihrer massiven Erscheinung am bayrischen Alpenrand – geht dieser Punkt an die Zugspitze.

2. Exklusivität
Von Exklusivität kann eigentlich bei keinem der beiden Gipfel die Rede sein. Berge mit dem Alleinstellungsmerkmal, der nachweislich höchste, schönste oder wie auch immer geartet tollste Gipfel einer bestimmten Region zu sein, übt naturgemäß eine fast magische Anziehungskraft auf Bergsportler aus. Trotzdem spielt die Zugspitze hier noch einmal in einer anderen Liga – allerdings eher im negativen Sinne: Rund 500.000 Menschen stehen jedes Jahr auf dem Gipfelplateau. Zum Vergleich: Die Hamburger Kunsthalle hat im Jahr 2015 nach eigenen Angaben lediglich 332.000 Besucher angelockt.

Wer dem Galdhøpiggen aufs Dach steigen möchte, findet in Spiterstulen einen schönen Ausgangspunkt und kann hier sowohl in einer der komfortablen Hütten, im Wohnmobil oder auf dem angrenzenden Zeltplatz nächtigen
Wer dem Galdhøpiggen aufs Dach steigen möchte, findet in Spiterstulen einen schönen Ausgangspunkt und kann hier sowohl in einer der komfortablen Hütten, im Wohnmobil oder auf dem angrenzenden Zeltplatz nächtigen

Zu den Besteigungen des Galdhøppigen habe ich leider keine verlässlichen Zahlen gefunden. Sie dürften sich aber ganz bestimmt nicht in diesen Dimensionen bewegen – alleine schon wegen der fehlenden Bergbahnen und der Notwendigkeit, den Gipfel aus eigener Muskelkraft zu erwandern. Trotzdem ist man auch auf dem Galdhøpiggen selten alleine, es reicht aber easy für den Sieg in der Kategorie „Exklusivität“.

3. Aufstieg
Es gibt zahlreiche Varianten, um auf den Galdhøpiggen zu kommen. Alleine von der sehr empfehlenswerten Berghütte Spiterstulen, von der aus auch wir den Aufstieg zum Galdøpiggen in Angriff genommen haben, gibt es mindestens vier Varianten mit ganz verschiedenen Schwierigkeitsgraden. Eine fünfte – und die vermeintlich leichteste – Route startet von der auf 1.841 Meter hoch gelegenen Juvasshytta. Allerdings muss man hier einen Gletscher queren und es wird empfohlen, sich den von Bergführern geleiteten Gruppen anzuschließen. Bei gutem Wetter, mit Gletscherausstattung und -erfahrung kann man das aber getrost in einer eigenen Seilschaft machen. Der Weg ist ausgetreten und zur Not kann man sich immer noch an einer der in der Hauptsaison zahlreichen Bergführergruppen orientieren. Wir sind Anfang August 2016 der bei hoehenrausch.de beschriebenen Tour von Spiterstulen (1.104 Meter) über die Svellnose (2.272 Meter) und den Keilhaus topp (2.355 Meter) gefolgt. Der Weg ist gut markiert und bei guten Wetterverhältnissen anstrengend (1.500 Höhenmeter!), aber durchaus in ca. vier Stunden Gehzeit bequem machbar. Wir mussten ein paar Schneefelder queren, bei denen bei niedrigeren Temperaturen (< 0 Grad Celsius) sicher Steigeisen nicht ganz verkehrt sein würden, ansonsten war nur Trittsicherheit und Kondition gefragt. Der Abstieg geht dann in drei bis dreieinhalb Stunden etwas schneller – vor allem, wenn man die Schneefelder als Naturrodelbahnen nutzt.

Die kleinen Punkte rechts oben sind die geführten Touren von der Juvasshytta. Sie machen gefühlt 90% der Galdhøpiggen-Besteiger aus.
Die kleinen Punkte rechts oben sind die geführten Touren von der Juvasshytta. Sie machen gefühlt 90% der Galdhøpiggen-Besteiger aus.

Und wie kommt man auf die Zugspitze? Neben der für echte Bergsportler nicht in Frage kommenden Tiroler Zugspitzbahn, Bayerischen Zugspitzbahn oder Eibseeseilbahn, gibt es insbesondere drei bekannte Aufstiegsrouten zur Zugspitze: Reintal, Höllental und Schneekar. Die ersten beiden Routen starten auf deutscher Seite in Garmisch-Partenkirchen bzw. Hammersbach und sind St. Bergweh approved. Letztere kann auf österreichischer Seite vom Eibsee bzw. Ehrwald in Angriff genommen werden und trifft kurz vor dem Gipfel auf die Reintal-Route.
Die Reintal-Route ist die leichteste, aber selbst sie verlangt von ihrem Begeher 2.232 Höhenmeter ab, die es in rund zehn Stunden reiner Gehzeit zu bezwingen gilt. Die sehr schöne Tour führt zunächst durch die Partnachklamm und dann vorbei an der Bockhütte (1.052 Meter), der Reintalangerhütte (1.370 Meter; übrigens eine sehr schöne Übernachtungsmöglichkeit) und der Knorrhütte (2.057 Meter) bis zum finalen, etwas mühsamen (Geröll) und teils versicherten Gipfelanstieg.
Für die Route durchs Höllental muss man schon etwas mehr als nur Kondition, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit mitbringen. Sie beinhaltet eine vermeintlich leichte Gletscherquerung (Steigeisen sollten dabei sein), die am Ende mit einem zünftigen Spalt zur Felswand aufwartet, der zum Ende des Sommers aufgrund der Abschmelzung immer breiter wird. Außerdem gibt es mit Brett, Leiter und dem Klettersteig zum Gipfel einige Passagen, die alpine Erfahrung und Ausrüstung abverlangen. Auf dieser ebenfalls sehr schönen Route müssen 2.204 Höhenmeter überwunden werden, was in gut trainiertem Zustand in acht Stunden Gehzeit machbar wäre. In der Regel übernachtet man jedoch in der neu gebauten Höllentalangerhütte – wenn man einen der begehrten Schlafplätze ergattert.
Die Route durchs Schneekar kenne ich noch nicht. Sie beinhaltet aber auch den einen oder anderen Klettersteig und dürfte vom Schwierigkeitsgrad irgendwo zwischen Reintal- und Höllentalroute eingeordnet werden. Die Tour kann ebenfalls in ca. acht Stunden geschafft werden, wenn man die mindestens 2.012 Höhenmeter am Stück gehen will.
Absolute Freaks wählen mit dem Jubiläumsgrat eine der bekanntesten Gratrouten der Ostalpen. Die Route ist eine hochalpine Tour und keine Wanderung oder ein gesicherter Klettersteig. Immer wieder übernehmen sich hier Bergsportler und müssen im besten Fall auf halben Weg in der Biwakschachtel übernachten oder werden von der Bergrettung vom Grat geborgen. Laut FAZ fliegt allein die Bergwacht Garmisch-Partenkirchen pro Jahr etwa vierzig Mal mit dem Hubschrauber hinauf zum Jubiläumsgrat, um in Not geratene Bergsteiger ins Tal zu holen. Es kommt aber auch immer wieder zu tödlichen Unfällen. Eine letzte Alternative wurde erst vor kurzem wiederentdeckt: ein in Vergessenheit geratener Klettersteig aus der Zeit der ersten Bebauung der Zugspitze. Auch hier sollte man unbedingt auf die Erfahrung eines Bergführers setzen, wie der ganz frische Erfahrungsbericht von Erika auf ulligunde.de beweist. Das ist auch so Abenteuer genug.

Der Weg durchs Reintal auf die Zugspitze ist ausgesprochen Abwechslungsreich – zumindest war das 2007 so, als dieses Bild entstanden ist
Der Weg durchs Reintal auf die Zugspitze ist ausgesprochen Abwechslungsreich – zumindest war das 2007 so, als dieses Bild entstanden ist

Die Aufstiegsvarianten zum Galdhøpiggen und zur Zugspitze gegenübergestellt, fällt die Entscheidung schon etwas schwerer, als bei den vorherigen Kategorien. Wenn ich die Aufstiege vergleiche, die ich selbst schon gemacht habe, dann muss diese Kategorie jedoch an die Zugspitze gehen. Die Aufstiege waren abwechslungsreicher und fordernder als die Tour zum Gipfel des Galdhøpiggen. Zwischenstand: 2:1 für die Zugspitze.

4. Gipfelhütte
Dass es diese Kategorie gibt, ist nicht selbstverständlich. Auf den meisten Berggipfeln steht in der Regel maximal ein Kreuz, aber eher selten ein Gebäude. In diesem Fall sind jedoch beide Gipfel bebaut. Auf der Zugspitze sogar mehrfach: Da gibt es die DAV-Hütte Münchner Haus, in der man auch – leider etwas überteuert – übernachten kann. Die ist nicht sonderlich schön, aber im Gegensatz zum Hauptgebäudekomplex ein architektonisches Bergjuwel. Die Bergstation der verschiedenen Bergbahnen inklusive mehrerer Restaurants, dem Tagungszentrum und Touri-Shops ist an Hässlichkeit kaum zu überbieten – ein in Beton gegossener Kollos, der der Zugspitze nahezu jeglichen alpinen Charme nimmt.

Echte Gipfelgefühle stellen sich auf der Zugspitze nur schwerlich ein
Echte Gipfelgefühle stellen sich auf der Zugspitze nur schwerlich ein

Auch auf dem Galdhøpiggen steht eine Hütte. Die ist aber vergleichsweise winzig und passt in ihrer Bauweise (ein Mix aus Naturstein, Holz und Glas) eigentlich sogar richtig schön in die karge Umgebung. Sie ist im Sommer tagsüber bewirtschaftet (Snacks und Getränke). Für Notsituationen gibt es Decken und ein kleines Lager. Seit diesem Sommer gibt es zudem einen ganz besonderen Service: ein Outdoor-Kleiderkreisel. Ich habe nämlich mein zum Trocknen aufgehängtes Mammut-Funktionsshirt und meinen geliebten Sonnenhut vergessen, der mich schon auf so vielen Abenteuern begleitet hat. Nun stelle ich Beides zur freien Weiterverwendung zur Verfügung – gut ausgelüftet sollte die beiden Sachen mittlerweile sein, waschen kann aber nicht schaden.

Top of Galdhøpiggen und damit der höchste Punkt Skandinaviens auf 2.469 Metern
Top of Galdhøpiggen und damit der höchste Punkt Skandinaviens auf 2.469 Metern

Man ahnt es vielleicht: Bezogen auf die Hütte, ist der Galdhøpiggen der Zugspitze zweifelsohne vorzuziehen. Es steht 2:2 und die letzte Kategorie entscheidet über den großen Fame oder das langsame Abdriften in die Bedeutungslosigkeit. Ja, so ist das hier: Mit St. Bergweh kann es im Fahrstuhl sehr schnell nach oben gehen, aber auch genauso schnell wieder runter.

5. Bier
Die Killerkategorie überhaupt: das Gipfelbier – getrunken direkt nach erfolgtem Aufstieg oder spätestens, wenn man wieder gesund unten im Tal angekommen ist. Da ich das ganze Spiel hier nicht unentschieden ausgehen lassen will, fällt mal ganz bewusst die Option weg, einfach das eigene Lieblingsbier in den Rucksack zu packen. Vom Angebot her, dürfte die Zugspitze die Nase deutlich vorn haben. Sowohl in den Restaurants und „Biergärten“ als auch im Münchner Haus gibt es sicher zig verschiedene Biersorten. Auch der Abstieg bietet mit den auf dem Weg gelegenen Hütten oder in den Gasthäusern in Garmisch-Partenkirchen und Ehrwald zahlreiche Optionen auf ein kühles Bier. Aber geht es hier um Quantität oder eher Qualität? Ist ja schließlich keine Kieztour, sondern ein hoffentlich unvergessliches Bergabenteuer.
Zurück in Spiterstulen haben wir uns nach der Galdhøpiggen-Besteigung was ganz Besonderes gegönnt: Ein Bier, das es (bisher) nur dort und in einem kleinen Laden im nahegelegenen Örtchen Lom zu kaufen gibt. Eine Flasche kostete rund zehn Euro (klingt viel, ist aber nicht viel mehr als der Standard-Bierpreis in Norwegen) und war – ohne zu übertreiben – geschmacklich jeden Cent wert. Gerade wenn man noch das Adrenalin und den Flow vom vorherigen Bergabenteuer im Körper hat, dann ist so ein richtig geiles Bier mal sowas von ’ner 1. Das i-Tüpfelchen war jedoch der Name: Lomb Høgruta. Denn Høgruta ist gleichzeitig der Name der norwegischen Haute Route Skitour durch Jotunheimen (77 Kilometer und 7.200 Höhenmeter). Wer Bergweh (aus eigener Erfahrung) kennt und eins und eins zusammenzählen kann, weiß, was das für Gedanken und Pläne in meinem Kopf freigesetzt hat. Warum nicht mit guten Freunden in einem der nächsten Winter mit Ski oder Splitboard die fünftägige Tour in diesem wunderbar wilden Nationalpark im Herzen Norwegen angehen? Ein Gipfelbier, das nicht nur unglaublich gut schmeckt, sondern auch noch so viel Phantasie und Abenteuerlust wecken kann, ist einfach unschlagbar.

Cheers Leute und auf zu neuen Abenteuern
Cheers Leute und auf zu neuen Abenteuern

Bleibt mir nur noch das unglaublich knappe Ergebnis zu verkünden:

Zugspitze? 2! Galdhøpiggen? 3! Danke. Bitte.

Und wie immer zum Abschluss eines St. Bergweh Artikels habt Ihr Euch noch ein Lied verdient. Das kommt heute von der bezaubernden Boho Dancer gemeinsam mit dem genialen Dangers of the Sea und ist nicht nur passenderweise ein Duett, sondern heisst auch noch (rein zufällig natürlich): Mountains.