„Ich bin sehr für den Klimawandel. Zivilisationsphasen der Wärme waren immer erfolgreicher als solche der Kälte. Wir sollten den Klimawandel nicht bekämpfen, sondern uns darauf einstellen.“ Man wünscht sich, der Mensch hinter diesen Worten würde mal für ein paar Monate da ausgesetzt, wo Ragnar Axelsson seine beeindruckenden Fotos mit den teils bedrückenden Geschichten dahinter schoss, die noch bis 18. Juni 2023 im Phoxxi vor den Hamburger Deichtorhallen ausgestellt sind. Zu dem Menschen (zufällig weiß, zufällig alt, zufällig reich) mit dem kleinen Geist und der großen Macht, dessen ethischer und moralischer Kompass dringend mal wieder nachjustiert werden sollte, später mehr. Jetzt erstmal ein kleiner Einblick in die sehr zu empfehlende Fotoausstellung „Where The World Is Melting“.
Anders als besagter Mensch beobachtet der isländische Fotograf Ragnar Axelsson den Klimawandel schon seit Langem mit größter Sorge. Seit vier Jahrzehnten dokumentiert er die dramatischen Veränderungen von Landschaften und Lebensräumen am Rande der bewohnbaren Welt und reist in die abgelegensten und isoliertesten Regionen der Arktis, zu Inuit-Jäger:innen nach Nordkanada und Grönland, zu Bäuer:innen und Fischer:innen auf Island und den Färöer Inseln und zur indigenen Bevölkerung in Nordskandinavien und Sibirien. Passend zur rauen Umgebung setzt der Fotojournalist dabei auf karge Schwarz-Weiß-Aufnahmen.
Fotoausstellung „Where The World Is Melting“
Seine erste Retrospektive mit dem eindeutigen Titel „Where The World is Melting“, zu der es auf YouTube ein sehenswertes fünfminütiges Teaservideo gibt, zielt darauf ab, die oft außergewöhnlichen Beziehungen zwischen Mensch, Tier und extremem Lebensumfeld darzustellen, die aufgrund der Klimakrise tiefgreifenden Veränderungen unterliegen.
„Nie war es wichtiger als jetzt, das Leben der Menschen und die Veränderungen, die sie in der Arktis durchmachen, in Worten und Bildern zu dokumentieren, damit die ganze Welt sehen kann, was geschieht. Eine Fotografie ist in dem Puzzle, aus dem sich das Gesamtbild ergibt, nur ein kleines Teil, doch manchmal sind es diese kleinen Teile, die uns die Augen für die größere Realität öffnen.“
Ragnar Axelsson
Um das zu verdeutlichen, erzählt Axelsson in oben verlinktem Teaservideo von einem alten Mann, den er einmal im grönländischen Thule vor dessen Haus getroffen und fotografiert hatte. Der alte Mann schaute laut Axelssons Schilderungen in den Himmel und sagte einen Satz, den er in den folgenden Tagen immer wieder wiederholte, bis Axelsson dessen Bedeutung nach fünf Tagen übersetzen konnte: „There is something wrong: The big ice is sick!“ Das war 1986! Gänsehaut!
„Where The World is Melting“ ist also eine gelungene Kombination aus den oft körnigen Schwarz-Weiß-Fotografien und den eindrücklichen Geschichten, die der Isländer dazu erzählt. Der erfahrene Pilot verbringt dafür meist auch eine längere Zeit mit den Menschen vor Ort und teilt ihren oftmals beschwerlichen Alltag mit ihnen. Das schafft die nötige Vertrauensbasis, um so intime Momentaufnahmen ihres Lebens machen und Zugang zu ihren Gedanken, Sorgen und Ängsten bekommen zu können.
„Hinter AXELSSONS Fotografien steht die feste Überzeugung, dass die traditionelle Kultur der arktischen Bevölkerung nicht nur im Verschwinden begriffen ist, sondern den zerstörerischen Auswirkungen größerer Kräfte wie der Wirtschaft und des Klimawandels nicht standhalten kann.“
Pressemitteilung
Eben diesen Menschen, die vom Klimawandel gezwungen werden, ihre jahrhundertealte Lebensweise an veränderte Bedingungen anzupassen oder auch aufzugeben, widmet sich die Ausstellung. Hier eine kleine Bildauswahl (Fotos: Ragnar Axelsson):
Die Ausstellung ist Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr und jeden 1. Donnerstag im Monat von 11-21 Uhr geöffnet. Der Eintrittspreis liegt bei 8 € (ermäßigt 5 €), Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren dürfen die Ausstellung sogar kostenfrei besuchen, was ich ziemlich cool finde. Kuratorenführungen mit Ingo Taubhorn finden am 26. April, 17. Mai und 7. Juni jeweils ab 18:00 Uhr statt und kosten 3 Euro zuzüglich zum regulären Eintritt.
Wer ist Ragnar Axelsson?
Ragnar Axelssons Fotografien wurden in Zeitschriften wie LIFE, Newsweek, Stern, GEO, National Geographic, TIME und Polka abgedruckt und weltweit ausgestellt. Zudem hat er mehrere Bücher veröffentlicht, unter anderem Hetjur norðurslóða/Arctic Heroes veröffentlicht, das den Schlittenhunden Grönlands als Helden der Arktis gewidmet ist, den Bildband Jökull/Gletscher und Andlit norðursins/Das Gesicht des Nordens. Sowohl für die Bilder als auch für die Bücher erhielt er bereits diverse Auszeichnungen.
Zurzeit arbeitet der 1958 geborene Axelsson an einem Dreijahresprojekt, in dem das Leben der Menschen in allen acht arktischen Staaten dokumentiert werden soll. „In dieser entscheidenden Zeit, in der die natürlichen und tradierten Gegebenheiten ihrer Welt durch den Klimawandel unwiderruflich zerstört werden, legt Axelsson Zeugnis von der unmittelbaren und direkten Gefahr ab, die die Erderwärmung für das Überleben der Menschheit darstellt“, heißt es dazu in der Pressemitteilung der Deichtorhallen.
Wer noch mehr über Rangar Axelsson und die Fotoausstellung „Where The World is Melting“ erfahren möchte: Ich kann die „Das ist Kunst“-Podcast-Folge „On the ice, you cannot make mistakes“ empfehlen.
Und nun zu dem mächtigen Kleingeist?
Natürlich geht es um niemand Geringeren als den Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer SE, von dem man bis zur aktuellen Rechercheveröffentlichung der ZEIT noch halten konnte was man wollte (ok, das konnte man schon vorher nicht), der seitdem – insbesondere in seiner Position als Chef von reichweitenstarken Medien wie BILD / BILD am SONNTAG und WELT / WELT am SONNTAG – unhaltbar sein dürfte. Ich möchte gar nicht auf den ganzen wirren und irren, ja kranken Kramm eingehen, den Mathias Döpfner da so seinen Kolleg:innen alles geschickt hat. Das kann man bei der ZEIT und in vielen anderen Medien nachlesen. Aber ein kurzer Blick auf einen möglichen Grund für seine Aussagen zum Klimawandel (und die Berichterstattung der Medien seines Hauses) ist durchaus interessant.
Dazu müssen wir gedanklich kurz nach Nordamerika reisen, dem Sitz des Finanzinvestors KKR und des kanadischen Pensionsfonds CPPBI, die zusammen einen Anteil von mindestens 47 Prozent an der Axel Springer SE haben. Laut der von THE GUARDIAN im Jahr 2022 veröffentlichten Klimarisiko-Scorecard gehört KKR zu den Top-3 „Worst Offenders“ – also den „größten Missetätern“ – unter acht großen Private Equity Gesellschaften, die ihr Geld in Unternehmen und Projekte im Bereich fossiler Brennstoffe investiert haben. Viel Geld. Sehr viel Geld. Bei CPPBI sieht es nicht anders aus. Würde sich die Gesellschaft zeitnah von den fossilen Energieträgern abwenden, wie von vielen Wissenschaftlern dringend empfohlen, würde das für KKR und CPPBI Verluste bedeuteten. Massive Verluste. Sehr massive Verluste. Laut THE GUARDIAN werden bei einer Net-Zero-Transformation bis 2036 etwa die Hälfte der weltweiten Vermögenswerte aus fossilen Brennstoffen wertlos sein.
Jede Verzögerung dieser Veränderung ist für KKR, CPPBI und die dahinter stehenden Investoren pures Gold wert. Nachvollziehbar, dass man als Teil dieser in meinen Augen skrupellosen Bande den Klimawandel gar nicht so schlimm findet und sich sogar Wärme wünscht – die Klimakrisefolgen können einem als Milliardär und Mensch ohne moralischem Kompass ja auch am Arsch vorbeigehen. Wenig verwunderlich also, dass die hauseigenen Medien (BILD, WELT & Co) so noch weiter motiviert werden, gegen die Wissenschaft, grüne Politiker:innen und die „Klimaterroristen“ der Letzten Generation zu hetzen – also mit massiver Medienmacht Meinung und Politik zu beeinflussen.
 Für Döpfner ist Wärme also die Lösung? Dann schenken wir sie ihm doch, zum Beispiel mit einer Spende an die Letzte Generation – Motto: #WärmeFürDöpfner
ST. BERGWEH MUSIKVIDEO
Das ST. BERGWEH Musikvideo, das traditionell jeden Blogbeitrag abschließt, muss natürlich aus einem der Länder kommen, in dem Axelsson für obige Bilder aktiv war. Ich kenne mich nicht so besonders mit der Musikszene in Grönland oder der Arktis aus, aber ich weiß, dass Island eine beeindruckende Musikkultur hat. In Reykjavik gibt es gefühlt an jeder Ecke einen Plattenladen und angeblich gibt es kein Land auf dieser Welt, wo vergleichsweise so viele Einwohner:innen ein Musikinstrument spielen können. Entschieden habe ich mich für Sigur Rós und deren Song Olsen Olsen – unter anderem auch wegen des Zusammenschnitts aus ihrem ziemlich coolen Musikfilms Heima, für den sie in kleine Dörfer Islands gereist sind, um da Konzerte zu geben.