Lützerath: ein trauriges Symbol

Demonstration in Lützerath am 14.01.2023

Aus Gründen heute mal Bergbau statt Bergweh: „Es gibt viele gute Anlässe, für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, meinetwegen auch gegen die Grünen. Aber Lützerath ist schlicht das falsche Symbol„, sagte Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck vor wenigen Tagen im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin SPIEGEL. Für die weltweit wohl bekannteste Klimaaktivistin Greta Thunberg hingegen ist Lützerath „ein Ort voller Traurigkeit“. Die Wahrheit liegt vielleicht irgendwo dazwischen und Lützerath ist einfach nur ein trauriges Symbol. Ein trauriges Symbol für die (Selbst-)Zerstörungskraft des Kapitalismus, das Versagen der Demokratie und den begrenzten Intellekt des Menschen – und wahrscheinlich noch so viel mehr. Schreibt es in die Kommentare.

LÜTZERATH

Ein trauriges Symbol

Wie ich zu der Einschätzung komme? Ich packe das, was ich im Rahmen der Großdemonstrationen am Samstag den 14. Januar 2023 mit 15.000 bis 35.000 anderen Menschen gesehen habe zusammen mit dem, was für jede(n) von uns sichtbar ist, wenn er/sie hinschaut.

10 Dinge, die ich in Lützerath gesehen habe

  1. Viele junge Menschen, die sich verraten fühlen – von der Politik und vor allem den Grünen (von den anderen Parteien erwarten sie ja zurecht nichts, die haben ja bereits in den letzten drei vier Jahrzehnten gezeigt, dass sie die Relevanz von Klima- und Umweltpolitik für Wohlstand, soziale Gerechtigkeit, nationale Sicherheit, Gesundheit, Zukunftsfähigkeit etc. nicht erkannt oder aufgrund persönlicher Vorteile ignoriert haben).
  2. Eine Polizeipräsenz, wie ich sie mir nicht hätte vorstellen können – mit Hunderten Fahrzeugen, Tausenden Einsatzkräften, Reiter- und Hundestaffeln.
  3. Viele Menschen jeden Alters, die trotz Regen und Platzverbots in ihren Jack Wolfskin Regenjacken und mit Pappplakaten „bewaffnet“ ein Zeichen setzen wollten.
  4. Ihnen gegenüber Polizist:innen mit Vollvisierhelm, Protektoren, Schlagstöcken und teilweise Schutzschilden.
  5. Eine Entschlossenheit in den Gesichtern vieler Aktivist:innen, Lützerath nicht aufzugeben.
  6. Und auf der anderen Seite Polizist:innen, die mehr als entschlossen versucht haben, das RWE-Gelände zu verteidigen.
  7. Windkraftanlagen auf den Feldern um den Tagebau und mit Solarpanels bedeckte Dächer, die von einer besseren und gerechteren Zukunft träumen lässt.
  8. Eine schon jetzt irrsinnig tiefe und große Grube, die erahnen lässt, wieviel „Kohle“ der Energiekonzern RWE damit gemacht haben muss.
  9. Aber auch sinnlos zerstochene Reifen und abgetretene Spiegel von Polizeiautos oder mit Parolen und ACAB-Schriftzügen beschmierte Häuserwände und beleidigende Kommentare und Gesten in Richtung der Polizei.
  10. Genau wie offensichtlich frustrierte oder mit den Demonstrierenden sympathisierende (also sie zumindest freundlich behandelnde) Polizist:innen.

Ein bisschen etwas davon bringen vielleicht die weiter unten folgenden Bilder vom vergangenen Wochenende zum Ausdruck.

„Es gibt zum Beispiel eine Studie, die den weltweiten Anteil von großen COâ‚‚-Emittenten mit statistischen Methoden herleitet, den Carbon-Majors-Report. Daraus geht hervor, dass RWE für 0,47 Prozent des globalen Klimawandels verantwortlich ist.“

Roda Verheyen, Anwältin (Zeit Online, 15.8.2022)

10 Dinge, die man über Lützerath (und RWE) wissen sollte

  1. Ja, es gibt einen mit den Landesregierung NRW und der Bundesregierung ausgehandelten Kompromiss, der RWE rechtlich zusichert, die Kohle unter Lützerath fördern zu dürfen. Aber es gibt eben auch ein 2015 unterschriebenes Klimaabkommen von Paris mit der Verpflichtung, alles zur Einhaltung des 1,5 Grad Ziels zu tun. Und ein deutsches Klimaschutzgesetz mit verschärften Klimaschutzvorgaben inklusive des Ziels der Treibhausgasneutralität bis 2045.
  2. Die Forschergruppe FossilExit (u.a. Europa-Universität Flensburg, TU Berlin und das Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)) kommt bei ihren Untersuchungen zu dem Schluss: „Die #RWE noch zugebilligte Kohlemenge aus Garzweiler von 280 Mio. t BK übersteigt das 1,5-Grad kompatible CO2-Budget um ein 6-faches.“ (den ganzen Thread auf Twitter). Oder Ihr schaut diese ZDF Frontal Sendung.
  3. Klimaforscher warnen, dass selbst eine 1,5 Grad Erderwärmung bis 2100 im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter bereits katastrophale Folgen für die Weltgemeinschaft haben wird. Aktuell steuern wir jedoch laut einer McKinsey-Studie auf eine Erhitzung von 2,4 Grad (1,9-2,9) zu.
  4. Der unter Punkt 1 erwähnte Kompromiss beinhaltet einen vorgezogenen Kohleausstieg im Rheinischen Revier im Jahr 2030. Allerdings behält sich RWE wohl vor, eine Reserve von 50 Millionen Tonnen Braunkohle abzubauen, um diese noch bis 2033 verfeuern zu können.
  5. Unabhängige Studien bestätigen, dass die Kohle unter Lützerath nicht mehr zur Sicherstellung einer Versorgungssicherheit benötigt werden, u.a. vom DIW oder vom Energieberatungsunternehmen AURORA Energy Research.
  6. Was Du Dir anschauen solltest: Die Dokus KLIMA, KRIMI, KOHLE von Hubertus Koch, Showdown in Lützerath vom WDR, Lützerath-Räumung: Widerstand um jeden Preis? von Monitor (ARD) und Lützerath geräumt: Was hat der Protest gebracht? von Strg_F, die Einblicke in die „letzten“ Tage von Lützerath geben.
  7. Was Du Dir auch anschauen solltest, ist diese Ausgabe der ZDF-Sendung Monitor aus dem Jahr 1994. Denn sie zeigt, dass die wirklichen Fehler und Skandale nicht heute von den Grünen, sondern schon viel früher begangen und schon damals durch die Erweiterungen des Kohleabbaus, Investitionen in Erneuerbare Energien verhindert worden sind.
  8. Was Du Dir anhören solltest: Ich empfehle zu dem Thema die Podcastfolge „Lützerath – Kohleabbau sofort stoppen“ aus Kemferts Klima-Podcast, die Folge „Fallen mit Lützerath unsere Klimaziele“ des FOMO Podcasts, die Folge „Was bleibt von Lützerath?“ des ZEIT WISSEN Podcasts Was jetzt? und vom Deutschlandfunk Podcast Ethik und Diskurs die Folge „Ethik und Verantwortung – Der Klimawandel: Eine Ungerechtigkeit“.
  9. Was Du lesen solltest: Den Artikel „Warum RWE jeden Argwohn verdient hat“ von Christian Stöcker (Spiegel Online) oder direkt Das Klima-Buch von Greta Thunberg.
  10. Was Dir die letzten Zweifel nehmen sollte: 715 Wissenschaftler haben erst vor wenigen Tagen einen Offenen Brief an Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie und stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen und Herbert Reul, Minister des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen unterschrieben haben. Darin empfehlen sie ein Moratorium, da sie „substanzielle wissenschaftliche Zweifel an der akuten Notwendigkeit einer Räumung“ sehen.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass Lützerath symbolisch für die Missachtung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Politik, die Profitgier ohne jegliche Moral und Verantwortung von RWE und den zunehmenden Widerstand insbesondere junger Menschen gegen unser „Weiter so“ steht.

Eindrücke aus Lützerath

Fotos von der Demonstration am 14. Januar 2023 in Keyenberg bei Lützerath – u.a. mit Greta Thunberg und Luisa Neubauer

Mehr Eindrücke aus Lützerath (aber irgendwie andere)

Fotos von der Demonstration am 14. Januar 2023 auf den Feldern vor Lützerath

Was bedeutet das Ganze nun?

Keine Ahnung. Hier ein paar Antwortoptionen, die gerne ergänzt werden dürfen:

  1. Konzernen wie RWE einfach nicht mehr blindlings vertrauen und boykottieren wo immer möglich. Fun Fact: RWE ist natürlich eines der Unternehmen, die Verra mitgegründet haben – ein großer Zertifizierer von COâ‚‚-Kompensationen für Unternehmen, dem ein weltweites Forschungsteam laut The Guardian und Die Zeit gerade nachgewiesen hat, dass über 90 Prozent aller Zertifikate aus dessen Waldschutzprojekten wertlos sind. Und RWE sind auch diejenigen, die durch den frühen massenhaften Kauf an COâ‚‚-Zertifikaten mit der „Klimawende“ auch noch Geld zu verdienen scheinen.
  2. Verstehen, dass Klimaaktivismus kein Verbrechen oder gar Terrorismus ist, sondern eine größtenteils sehr uneigennützige Form des Protests, für die wir als Gesellschaft dankbar sein können.
  3. Die Grünen agieren zugegebenermaßen mehr als unglücklich bei dem Thema. Aber die Suppe eingebrockt haben uns in den vergangenen 20-30 Jahren vorrangig CDU, FDP und selbst SPD. Bei aller Wut auf Habeck und Co also: Noch viel schlimmer sind die genannten Parteien, die sich ja auch heute noch gegen die einfachsten Maßnahmen stemmen und den Erhalt des Status quo verteidigen (Tempolimit, Ausbau ÖPNV etc.).

St. Bergweh Musikvideo

Selten fiel es mir so schwer, eine Entscheidung für das ST. BERGWEH Musikvideo zu treffen, das traditionell jeden Blogbeitrag abschließt. Schlußendlich ist es der Foo Fighters Song „My Hero“ geworden – sozusagen als Reminiszenz an Greta Thunberg, Luisa Neubauer, Pinky und Brain sowie alle anderen Aktivist:innen, die so unglaublich viel von sich in den Kampf gegen diese hässlichen Windmühlen stecken, während wir unser oftmals bequemes Leben weiterleben als gäbe es die Klima- und Biodiversitätskrise nicht.

Foo Fighters ft. Shane Hawkins – My Hero