Men’s Health: Böses Mädchen

Heute mal wieder ein ganz anderes Thema – sozusagen St. Bergweh im Affekt: Samstagmorgen (na gut.. Samstagmittag), entspanntes Frühstück am Küchentisch und Lust auf seichte Unterhaltung. So weit zu den Rahmenbedingungen. Nun kommt das Corpus Delicti ins Spiel – die August-Ausgabe der Zeitschrift Men’s Health, die noch ungesehen in meinem Promo-Sack vom Urbanathlon letzte Woche Samstag schlummerte. Ich sitze also mit Blick in den sonnigen Hinterhof vor meinem Käsebrötchen und der warmen Tasse Kaffee. Im Hintergrund wechseln sich die herrlichen Stimmen von Max & Laura Braun und die Rotationsgeräusche meiner Waschmaschine ab. Und plötzlich passiert es – sozusagen mit dem Aufschlagen der Men’s Health 08/2013: Der gemeine Angriff auf meinen noch nicht einmal sonderlich ausgeprägten Intellekt. Und gleichzeitig der Beweis, dass in Verlagen entweder ausschließlich kurzfristiges Renditedenken herrscht, jegliche konsequente Weitsicht fehlt oder einfach unfähiges Personal an den entscheidenden Positionen sitzt. Oder alles zusammen.

Freu Dich auf den Genuss: Davon kann bei der Men's Health wohl nicht (mehr) die Rede sein
Freu Dich auf den Genuss: Davon kann bei der Men’s Health wohl nicht (mehr) die Rede sein

Ich will hier keine umfassende Heftkritik abliefern. Lediglich ein paar Beispiele zeigen, warum ich meinen Tagesablauf heute kurzfristig umbauen musste, um Zeit für diesen Artikel zu finden. Überzeugen und ein eigenes Bild machen kann sich ja jeder selbst, indem er/sie sich das Heft am Kiosk oder einem der App-Stores als E-Magazin besorgt. Kleiner Tipp: Ein kostenloses – leicht abgegriffenes – Exemplar kann man ab heute Nachmittag im Altpapier-Container in der Lagerstraße in Hamburg finden.

Beispiele aus der Rubrik „Update“

Überschrift „Schwerer Stand“: „Achtung! Jetzt geht es unter die Gürtellinie, und zwar doppelt: Männer, die bereits mit unter 30 Jahren Erektionsprobleme haben, könnten Hämorrhoiden die Schuld geben…“

Betroffenen wird diese Erkenntnis unglaublich helfen: Juchu… Ich kriege nur an Weihnachten und Ostern einen hoch, aber ich bin nicht Schuld, sondern meine Hämorrhoiden am Arsch.

Überschrift: „Küssen ist kein Sex – oder doch?“: „Ist ein feucht-fröhliches Vorspiel schon Sex oder nur gutes Petting? Bei dieser Frage scheiden sich nicht nur die Geister, sondern wohl auch die Geschlechter, … Mehr Frauen als Männer sehen alle Aktivitäten jenseits des Küssens als Sex an, lediglich beim klassischen Geschlechtsakt sind sie sich einig.“

Also erst einmal Klasse, dass sowohl alle Männer als auch alle Frauen Geschlechtsverkehr als Sex ansehen. Das war ja jetzt so nicht zu erwarten. Was in der Geschichte jedoch verschwiegen wird (und nur über die wunderschöne Infografik zum Ausdruck kommt): Zungenküsse sind für mehr Männer als Frauen bereits Sex. Na, was sagt Ihr jetzt? Sind Männer doch sensibler als gemeinhin angenommen? Und für alle Interessierten: Bei diesen Freizeitbeschäftigungen „jenseits des Küssens“ spricht mancher (und wie die Men’s Health so investigativ ausführt insbesondere Frauen, was meine männliche Sensibilitätsthese von eben gleich wieder widerlegt) bereits von Sex (aufsteigende Reihenfolge): Brustwarzen streicheln – an den Nippeln saugen – per Hand beglücken – oral befriedigen – Spiele mit Sex-Toys.

Rubrik „Check-up“

Überschrift: „Erste-Hilfe-Koffer für ihren Urlaub“: „Keine Hanteln, kein Training? Nix da! Men’s Health hat ein Hotel-Workout entwickelt, für das Sie nur ein wenig Gepäck brauchen. 4 Übungen für überall…“

Das ist einfach unglaublich. Wie oft habt Ihr Euch auf Reisen – egal ob Urlaubs- oder Geschäftsreise – schon genau diese Frage gestellt und musstet aufgrund einer fehlenden Antwort stattdessen deprimiert die Kulturen ferner Länder entdecken, das Nachtleben pulsierender Städte auskosten oder Euch einfach nur schlafen legen, weil Euer Job so schlaucht? Die R&D-Crew von Men’s Health hat die Antwort auf dieses Problem nun scheinbar gefunden: Zukünftig könnt Ihr dank ihrer Tipps durch Kniebeugen mit Rucksack vor der Brust, Beinpressen mit Trolley unter den Füßen, Koffer-von-einer-Schulter-zur-anderen-über-den-Kopf-heben oder mit dem Beauty-Case jonglieren überall auf der Welt im Training bleiben.

Rubrik „Know-how“

Überschrift: „Frau auf den Arm nehmen“: „Ob nach der Hochzeit oder bloß auf dem Weg in Ihr Bett: So tragen Sie Ihre Liebste auf Händen… Sorgen Sie für einen festen Stand (Beine etwas weiter als hüftbreit auseinander)… Spannen Sie die Rumpfmuskulatur an, halten Sie den Rücken gerade… Schieben Sie dabei die Hüfte wieder nach vorne und strecken Sie die Knie durch… Lassen Sie Ihre Bauchmuskeln angespannt und gehen Sie über die Schwelle…“

Sollte ich mal heiraten, dann werde ich meiner Frau genau diese Anleitung auf den Rücken tätowieren oder zumindest ins Hochzeitskleid sticken lassen. Das kann sich ja kein Mann merken und man kann ja so viel falsch machen…

Rubrik „Sex“

Überschrift: „Komm mal schnell raus, Schatz!“: „Wer keine Gelegenheit für eine schnelle Nummer verpassen möchte, der sollte flink sein wie ein Gepard in freier Wildbahn. 7 Orte für Sex in der Natur, wo Ihre Liebste ganz laut schnurrt… Schieben Sie Rotkäppchen im Wald fix den Rock hoch. Idealerweise hat sie keinen Slip an – böses Mädchen… Wenn zwei auf einer Kirmes gemeinsam am Liebesapfel lecken, dann sind sie zu Höherem berufen. Wie wäre es mit einer schnellen Nummer im Riesenrad? Bimmelimm, bitte einsteigen… Sie stehen auf dem Balkon und glotzen selig, weil Ihnen von hinten ein flottes Bienchen in den Schritt greift und Ihren Stachel massiert…“

Das Positive zuerst: Schön, dass auch ehemalige Praline– und Coupe-Redakteure heute noch mit ihren Texten von vor 20 Jahren Geld verdienen können. Und Kreativität und Gefühl für sprachliche Bilder kann man dem Autor auch nicht absprechen. Ansonsten fällt mir zu diesem Artikel leider kein Kommentar ein, der dem Niveau gerecht werden könnte. Der Vollständigkeit halber jedoch für alle Geparden unter Euch – hier wird laut Men’s Health geschnurrt was das Zeug hält: Wiese – Strand – Wald – Riesenrad – Kinderspielplatz – Freibad – Balkon.

Ich will mich aber nicht nur aufregen: Der Artikel von Rufus Rieder „Arrivederci, Alter!“ über die angeblich ältesten Männer Europas im italienischen Dorf Orroli und der Küchen-Tipp „Zu Tränen gerührt“ mit „verschärften“ Chili-Rezepten von Gabriele Giesler haben Charme bzw. tatsächlich Nutzwert. Ob das jedoch ausreicht, um 4,20 Euro für eine Men’s Health Ausgabe zu rechtfertigen, ist zumindest fragwürdig. Ich habe diese Frage jedenfalls nun endgültig für mich beantwortet.

Und liebe Men’s Health: Die Ausweitung Eures Geschäftsbereichs auf Nebenprodukte wie die Ausrichtung des Urbanathlon, Nahrungsergänzungsmittel für Sportler oder mobile Smartphone-Personal-Trainer sind sicher ein richtiger Ansatz, um den Herausforderungen des Medienwandels zu begegnen. Doch worauf basieren alle diese Geschäftsideen? Auf einen starken und authentischen Marke. Mit dem Füll-Journalismus und den niederste Instinkte billig ansprechenden Geschichten tragt Ihr diesen Wettbewerbsvorteil zu Grabe. Und Euer Magazin wird auch für Euch zum Corpus Delicti.

So, ich muss jetzt das Altpapier wegbringen. Schönes Wochenende…