Freeriden im Iran: Dizin. Ski. Good.

Wenn man Freunden und Bekannten davon erzählt, zum Freeriden in den Iran zu reisen, gibt es meist drei verschiedene Arten von Reaktionen: „Im Iran? Da gibt’s doch gar keinen Schnee!“ Oder: „In den Iran? Du hast doch ’nen Vogel, in so ein Krisengebiet?“ Und: „Iran? Wahnsinn, ich will dort auch hin, muss wunderschön sein!“ Zu allen drei Meinungen hatten wir die Gelegenheit, uns ein eigenes Bild zu machen. Wir sind vier ambitionierte Snowboarder, die sich aufmachten, mit dem Splitboard neue Berge, neuen Schnee und eine neue Kultur zu entdecken.

Elburs Gebirge im Iran mit Gipfel bis zu 5600m (Foto: Martin Erd Photographer)
Elburs Gebirge im Iran mit Gipfel bis zu 5600m (Foto: Martin Erd Photographer)

Schon seit 2005 steckt die Idee in unseren Köpfen, den persischen Tiefschnee zu suchen. In letzter Zeit mehrten sich sowohl die Reiseberichte von Bekannten als auch die Berichte im Internet, so dass die Zeit nun reif schien. Und so kam es, dass wir uns im November 2015 dazu entschieden haben, unseren Traum in diesem Winter wahr werden zu lassen. Die Planung im Vorhinein war nicht ganz einfach – der Lonely Planet war zwar schnell besorgt und auch mögliche Unterkünfte erfragt. Sobald es aber um das Thema Skifahren bzw. Tiefschnee ging, war die Recherche mühsam. Klar, konnten wir auf etliche Reiseberichte zurückgreifen, eine Detailplanung war damit aber nicht möglich. Außer Google Maps gibt es kaum alpines Kartenmaterial, was uns zuvor ein einheimischer Bergführer bestätigt. Wir wussten also nur: Es gibt eine Handvoll Skigebiete, hohe Berge und einen Haufen unberührten Schnee. Für uns klang das perfekt!

Vier Boardbags und vier Snowboarder – immer wieder eine Herausforderung (Foto: Martin Erd Photographer)
Vier Boardbags und vier Snowboarder – immer wieder eine Herausforderung (Foto: Martin Erd Photographer)

Schon bei der Ankunft müssen die ersten Vorurteile über Bord geworfen werden. Die Einreise dauert fünf Minuten – wider Erwarten ohne Verhör durch die Polizei und auch den Visa-Schnickschnack im Vorhinein hätte man sich sparen und einfach ein Visa-on-Arrival beantragen können. Von der ersten Minute an auf persischem Boden sind die Menschen wahnsinnig hilfsbereit und gastfreundlich. Aufgrund der Wetterprognose entscheiden wir uns, sofort in die Berge aufzubrechen und lassen die Wüste und Teheran hinter uns.

Vilayad Rud kurz vor Dizin – touristische Infrastruktur sucht man hier vergebens (Foto: Martin Erd Photographer)
Vilayad Rud kurz vor Dizin – touristische Infrastruktur sucht man hier vergebens (Foto: Martin Erd Photographer)

Bereits vom Flughafen aus sieht man bei 22°C hinter dem Dunst und Smog Teherans die Berge mit ihren kleinen weißen Häubchen aufragen. Hier schöne Lines finden? Zugeben, wir sind skeptisch. Unmittelbar hinter der Metropole fängt der Pass in Richtung Chalus an. Wir werden sofort umrahmt von Viertausendern, die gefühlt nur aus braunem Kies bestehen – wie in einem Sandkasten aufgehäuft. Nach den ersten Bergen sehen wir, dass nordseitig der Schnee bis ins Tal reicht. Es tauchen immer mehr Berge auf, die man eher im Berner Oberland vermutet, als in 30 Minuten Fahrtzeit von einer 13 Millionen Metropole entfernt. Am Abend erreichen wir Dizin, das größte Skigebiet Irans. Südseitig des Gebirgskamms befinden sich die Skiorte Darbansar und Shemshak. Diese drei Orte sind mit einer Passstraße verbunden, die nur von Süden bis zur Passhöhe befahrbar ist.
Einer unserer Fotografen hat Kontakt zu der Truppe um den Redbull Freerider Fabian Lentsch und den Snowmads, die in einem Truck von Europa bis an den persischen Golf fahren und vor ein paar Tagen die Berge um Teheran verlassen haben. „Ihr müsst euch an der Skipatrol vorbei ins Backcountry sneaken, sonst ist die Lift-Karte weg!“ – „Seit 8 Tagen kein Neuschnee.“ Diese Aussagen machen unsere Skepsis nicht besser.

Liftanlagen aus den 70ern (Foto: Martin Erd Photographer)
Liftanlagen aus den 70ern (Foto: Martin Erd Photographer)

Der persische Skizirkus ist dem in den Alpen nicht unähnlich. Zwar sind die Anlagen ungleich älter, aber auch hier ist es ein Hobby der Besserverdiener. Mit dem islamischen Dresscode nimmt man es hier übrigens nicht sonderlich ernst. Einen Unterschied zwischen Mann und Frau erkennen wir – zumindest auf der Skipiste – nicht.
Entgegen unserer Vermutungen ist Powder für die Einheimischen kein Fremdwort – alle uns sichtbaren Hänge sind vollkommen zerpflügt. Kaum auf 3.600 Metern angekommen, entdecken wir, dass der Schnee nordseitig noch immer gute Qualität hat. Die Stimmung steigt, wir werden unseren persischen Powder finden. Wir suchen uns den entlegensten Lift, um einen Eindruck für das Gelände jenseits des Skigebiets zu bekommen. Es eröffnen sich uns schier unendliche Möglichkeiten.

Bei Touren bekommen wir keine Seele und keine Spur zu sehen. Allerdings sehen wir auch keinen Handyempfang. Sich in jeder Hinsicht (Lawinenlagebericht etc.) auf die eigenen Erfahrungen zu verlassen – eine Umstellung im Vergleich zu den Alpen (Foto: Martin Erd Photographer)
Bei Touren bekommen wir keine Seele und keine Spur zu sehen. Allerdings sehen wir auch keinen Handyempfang. Sich in jeder Hinsicht (Lawinenlagebericht etc.) auf die eigenen Erfahrungen zu verlassen – eine Umstellung im Vergleich zu den Alpen (Foto: Martin Erd Photographer)

Es scheint, die Perser lieben den Tiefschnee genau so, wie wir – Skitouren sind jedoch eine Rarität. Wenige Minuten Fußmarsch bringen uns direkt in unberührte Hänge. Wir sinnieren noch über Lines und Gefahren, da spricht uns ein einheimischer Skifahrer von der Seite an: „Backcountry, Backcountry? Come, come!“ Somit lernen wir Omid kennen, der uns von da an die Wege ins Gelände zeigt. Er selbst ist Mitglied der Skipatrol. Spätestens bei der Einladung zum Mittagessen mit dem Rest seiner Crew, sind alle Sorgen wie weggeblasen. Die Bedingungen sind traumhaft, die Schneedecke stabil – wir können steile Couloirs und einsame Hänge fahren. Endlich haben wir die Möglichkeit, die Routen für Skitouren in den nächsten Tagen zu checken und ziehen eine Line nach der anderen in den persischen Schnee.

First Line im persischen Powder (Foto: Martin Erd Photographer)
First Line im persischen Powder (Foto: Martin Erd Photographer)

Die Touren sind anstrengend, aber lohnend. Atemberaubende Ausblicke auf den Damavand (5.600 Meter), der uns magisch in seinen Bann zieht, bis hin zur Wüste vor Teheran. Wir werden mit feinstem Neuschnee und Bluebirds belohnt. Die Tage verfliegen nur so.

Auf demGipfel des Mt. Tochal (3961m) vor Teheran. Im Hintergrund der alles überragende Mt. Damavand (5604m) (Foto: Martin Erd Photographer)
Auf demGipfel des Mt. Tochal (3961m) vor Teheran. Im Hintergrund der alles überragende Mt. Damavand (5604m) (Foto: Martin Erd Photographer)

Neben den Bergen gewinnen uns vor allem die Perser für sich. Jeder scheint begeistert, uns kennenzulernen. Wir treffen großartige Menschen, wie Amid, der uns im Taxi ans Kaspische Meer fährt und uns im Auto persische Tänze beibringt. Wir verbringen lustige Abende mit Omid und seinen Freunden, obwohl sich die Konversation auf „Dizin, ski, good!“, „Ok?“ und „Ok!“ beschränkt. Mit diesen Worten Englisch und ein paar Brocken Farsi sind wir in unserem Dorf bald bekannt wie bunte Hunde.

Amid fährt uns gern mit seinem Taxi umher – an den Fuß der Berge oder ans Kaspische Meer. Ob mit Amid oder anderen Persern, wir fühlen uns wahnsinnig wohl und alle sind unglaublich freundlich (Foto: Johannes Strobel)
Amid fährt uns gern mit seinem Taxi umher – an den Fuß der Berge oder ans Kaspische Meer. Ob mit Amid oder anderen Persern, wir fühlen uns wahnsinnig wohl und alle sind unglaublich freundlich (Foto: Johannes Strobel)

Den zweiten Teil der Reise verbringen wir in Teheran: Metropole, Moloch, Schmelztiegel, Kulturschock und Verkehrschaos in einem. Wir nutzen die Nähe zu den Bergen, um von dort aus weiter den Pulverschnee zu suchen. Gleichzeitig tauchen wir tiefer in das persische Leben ein. Der Irrgarten des Bazars zieht uns genauso magisch an, wie die Berge im Norden. Wir werden in einer Moschee freundlich zum Mittagsgebet empfangen und genießen sprachlos das Treiben. Wir essen Lammspieße bis zum Umfallen, verbringen Stunden in verqualmten Teestuben und entspannen beim Genuß der traditionellen Wasserpfeifen. Überall und immer kommen wir mit den Persern und jungen Leuten in Kontakt – ob am Skateplatz, beim Mittagessen oder übers Couchsurfing. Alle sind wahnsinnig interessiert, gastfreundlich und offenherzig – wir fühlen uns überall willkommen.

Bazar Teheran (Foto: Martin Erd Photographer)
Bazar Teheran (Foto: Martin Erd Photographer)

Trotz der Parlamentswahlen, bekommen wir nur wenig von der politischen Situation im Land mit. Wir haben keine Berührungspunkte mit der Polizei oder anderen Repressionen. Wir halten uns aber auch immer an die uns bekannten Regeln, zum Beispiel keine öffentlichen Gebäude fotografieren und keinen Alkohol trinken. Was wir allerdings bemerken, sind die Auswirkungen der Sanktionen: So können beispielsweise nirgendwo Geld abheben und die Liftanlagen und Flieger scheinen noch aus Schah-Zeiten. Und das sind nur die Dinge die uns selbst betreffen. Das alles scheint den Leuten dort nichts auszumachen. Sie sind stolz auf ihr Land, stolz es zu zeigen. Sie freuen sich sehr offensichtlich über jeden Besucher. Kein Wunder also, dass unsere Reise bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Wir haben Vorurteile abgebaut und sind dieser besonderen Kultur deutlich näher gekommen.

Alte Amerikanische Botschaft Teheran (Foto: Johannes Strobel)
Alte Amerikanische Botschaft Teheran (Foto: Johannes Strobel)

Die westliche Dialektik gegenüber dem einstigen Schurkenstaat ändert sich derzeit, die Sanktionen sind Großteils aufgehoben, die Industrie wittert Milliarden-Deals und auch die Meinung der Medien ändert sich. Noch sind Touristen rar im Land, aber sie werden kommen, viele werden kommen – auch in die Berge. Und auch wir werden wiederkommen, denn:

Dizin ski good. Iran very good. Ok!

Bereit für neue Abenteuer (Foto: Martin Erd Photographer)
Bereit für neue Abenteuer (Foto: Martin Erd Photographer)

Fakten:
Flugticket: 350 € mit Iranair (nonstop von Hamburg, Frankfurt und München aus) oder 600 € mit Lufthansa (nonstop von Frankfurt aus).
Visum: Visum-on-Arrival ist ausreichend für 21 Tage.
Sicherheit: Problemloses Reisen vor Ort möglich, gute Infrastruktur, Übergriffe auf Ausländer kaum bekannt. Der chaotische Straßenverkehr im Land ist wohl die größte Gefahr.
Sicherheit am Berg: Lawinensicherheit ist nicht existent, LVS war der Pistpatrol unbekannt und Luftrettung nicht bis kaum verfügbar.
Skigebiete: Die größten sind Dizin (3.500 Meter), Darbandsar (3.150 Meter) & Shemshak (3.050 Meter) – alle jeweils ca. zwei Stunden von Teheran. Tochal (3.740 Meter) ist mit der Gondel direkt aus Teheran erreichbar.
Preise: Zwischen 20 US-$ und 30 US-$, je nach Gebiet und Wochentag.
Literatur: Lonely Planet Iran, Couchsurfing im Iran & werideiniran.com.

Text: Johannes Strobel
Fotos: Martin Erd martinerd.com / Johannes Strobel