Wahrscheinlich geht kaum jemand von Euch auf Pressekonferenzen oder Ihr kennt sowas nur aus dem Fernsehen. Das ist auch nicht schlimm, denn 97 Prozent dieser Pressekonferenzen sind stinkend langweilig. Nur ein Prozent ist hochemotional, weil etwas so Tolles passiert ist und verkündet wird, dass alle vor Freude ausflippen. Ein Prozent ist hochemotional, weil was total Schlimmes passiert ist und große Trauer zum Ausdruck gebracht wird. Und ein Prozent ist hochemotional, weil die Menschen hinter den Mikrofonen während der Pressekonferenz registrieren, dass sie aus etwas sehr Schlimmen, etwas sehr Schönes gemacht haben. Und genau DAS fand am zweiten Tag der Sportfachhandelsmesse Ispo 2017 in einem kleinen Raum auf dem Münchner Messegelände auf unglaublich beeindruckende Art und Weise statt – und zwar während der Pressekonferenz, zu der das britische Outdoor-Unternehmen Páramo Journalisten und Blogger eingeladen hatte.
Wie alles anfing
Páramo wurde im Jahr 1992 von Nick Brown gegründet. Der bereits leicht ergraute und sehr sympathische Mann steckt auch hinter den umweltfreundlichen Reinigungs- und Imprägnierprodukten von Nikwax. Bei einem Kolumbien-Aufenthalt traf Nick die Mutter Oberin des Ordens „Las Religiosas Adoratrices“, Madre Esther Castaño. Sie hatte eine kleine Werkstatt mit zwei gebrauchten Nähmaschinen gegründet, um ausgebeuteten Frauen in Bogotá ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Da passte es sehr gut, dass Nick bereits die Idee für eine neue Art von Outdoorbekleidung im Kopf hatte. So entstand aus dieser Begegnung nicht nur die erste Páramo-Jacke, sondern eine Geschichte, die 25 Jahre später in einem kleinen Raum auf dem Münchner Messegelände dem tough wirkenden Nick und der ebenfalls anwesenden Páramo-Schneiderin Amparo Chambo während einer eigentlich ganz normalen Pressekonferenz die Tränen in die Augen treibt und die anwesenden Journalisten und Blogger zu andächtigem Applaus inspiriert.
Ein neues Leben für Amparo
Es ist ein kalter Februar, doch in besagtem Raum auf dem Münchner Messegelände ist es wohlig warm. Es gibt sogar südamerikanische Snacks und Getränke. Die heute 40-jährige Amparo, die als junges Mädchen aus dem südlichen Cauca in die kolumbianische Hauptstadt flüchten musste, sitzt vor rund 30 fremden Menschen und beginnt auf Spanisch ihre Geschichte zu erzählen, die unmittelbar mit Páramo verbunden ist: „Ich war gezwungen, Geld zu verdienen. Geld für meinen Vater und meine sechs Brüder. Deshalb sah ich nur einen Ausweg: Mit 14 Jahren ging ich anschaffen und arbeitete als Prostituierte.“ Die letzten Worte gehen ihr sehr offensichtlich und absolut verständlich nur schwer und mit Tränen in den Augen von den Lippen. Dass sie als junges Mädchen auch Schläge, Vergewaltigungen und ungewollte Schwangerschaften über sich ergehen lassen musste, erfahre ich erst später.
Dass das keine normale, langweilige Pressekonferenz über eine neue Outdoorjacke wird, ist mir schnell klar. Die ebenfalls mit angereiste Ordensschwester Rosaura Patino von der Miquelina Foundation, die 1997 gemeinsam mit Páramo gegründet wurde, um die Nähwerkstatt professionell betreiben zu können, nimmt Amparos Hand und richtet ihre Worte an die Anwesenden: „Bei uns erfahren die Frauen erstmals in ihrem Leben Respekt. In vielen Gesprächen geben wir ihnen das Gefühl, wertvoll zu sein und es schaffen zu können: eine Ausbildung zu machen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und frei zu sein.“ So wie Amparo, die seit nunmehr 20 Jahren in der Nähfabrik „Creaciones Miquelina“ arbeitet und so nicht nur das nötige Geld verdient, um ihre Kinder und ihre Familie zu ernähren, sondern auch ihre Würde zurückbekommen hat. Und deshalb ist es Schwester Rosaura auch wichtig, mit einer Botschaft zu enden:
„Wir sind nicht aus Kolumbien hierher gekommen, um nach mehr Geld zu fragen. Wir sind hierher gekommen, um nach mehr Arbeit zu fragen. So kann noch mehr Frauen geholfen werden.“
Gut geht auch fair
In der Miquelina Werkstatt wird heute 80 Prozent des gesamten Páramo-Sortiments produziert. Die Performance orientierten Produkte entstehen sogar zu 100% dort. Sie ist mit modernsten computergesteuerten Schnittmustermaschinen ausgestattet und mit dem internationalen ISO 9001 Qualitätsstandard zertifiziert. Die Gewinne der Fabrik werden in neue Maschinen und gemeinnützige Projekte investiert. Dazu gehören zwei Kindergärten, eine Wohnungsbaugenossenschaft, ein Gemeindezentrum sowie eine Kantine für Schulkinder. Mittlerweile finden rund 200 Mitarbeiterinnen Arbeit bei Miquelina. Und jedes Jahr bildet die Foundation 550 weitere Frauen aus. Erst kürzlich hat Miquelina eine weitere Produktionsstätte in Pereira City, 200 km westlich von Bogotá, eröffnet, um auch Frauen in einer anderer Region Kolumbiens helfen zu können. Hier die ganze Geschichte:
Mit Unterstützung von Caritas international, die mit Philipp Lang ebenfalls auf dem Pressekonferenz-Podium vertreten waren, und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erhielt Miquelina im Januar 2017 die vollständige Mitgliedschaft der World Fair Trade Organization (WFTO). Deren Präsident, Rudi Dalvai, ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, der Veranstaltung beizuwohnen: „Es ist mir eine besondere Freude, Páramo als erstes Unternehmen der Outdoorbranche willkommen zu heißen, das unser WFTO First-Buyer Label verwendet. Die damit ausgezeichneten Produkte werden von der Miquelina Stiftung hergestellt: einer garantiert nach den WFTO-Kriterien des fairen Handels ausgerichteten Organisation. Leider kommt es gerade in der Textilindustrie immer wieder zu erheblichen arbeitsrechtlichen Verstößen und Menschenrechtsverletzungen; insbesondere in Entwicklungsländern, die ohnehin schon damit kämpfen, Nachhaltigkeitsstandards einzuhalten“, erklärt der 59-jährige Südtiroler und schließt mit einem sehr eindringlichen Satz:
„Die jahrelange Partnerschaft zwischen Miquelina und Páramo ist ein bewundernswertes Beispiel dafür, dass wirtschaftliche Entwicklung und Produktqualität mit humanitärer Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit einhergehen können.“
Die Marke Páramo
Dass Páramo ernstzunehmende Outdoorprodukte herstellt, die sich auch für den alpinen Einsatz eignen, wird am besten durch den Fakt belegt, dass sämtliche Bergrettungsmannschaften in England und Wales sowie ein Großteil der schottischen und irischen Bergrettungsteams auf Páramo-Produkte vertrauen. Seit sieben Jahren schwört das britische Polarforschungsteam, The British Antarctic Survey, auf die Technologien von Páramo. Darüber hinaus hat Greenpeace bei der Expedition „Chemie in unberührter Natur“ in acht entlegenen Bergregionen weltweit u.a. Páramo-Bekleidung getragen und diese selbst auf über 5.000 Höhenmetern als hervorragend eingestuft. Apropos Greenpeace: Im Januar 2016 trat Páramo als erster Outdoor-Ausrüster der Greenpeace Detox-Kampagne zum Ausschluss umweltschädlicher Chemikalien aus der Textilproduktion bei. Und so funktioniert im Übrigen die Nikwax Analogy Technologie in den Páramo Produkten:
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In den Páramo Produkten werden weder Membran-Technologien wie Gore-Tex noch Laminate oder versiegelte Nähte verwendet, die leicht verschleißen können und nur schwer zu recyceln sind. Außerdem lassen sie sich nicht nur ohne funktionelle Beeinträchtigung problemlos mit Nadel und Faden reparieren, sondern durch die Verwendung entsprechender Pflegeprodukte unbegrenzt neu imprägnieren und so wasserdicht halten. Ziel ist eine möglichst lange Lebensdauer. Der Páramo-Chef Nick Brown setzt sich zudem als Vizepräsident der European Outdoor Conservation Association (EOCA) für mehr Umweltverantwortung und Engagement innerhalb der Outdoorbranche ein – vor allem in den Bereichen Naturschutz, Klimawandel und Beseitigung schädlicher Chemikalien.
Erste Páramo Skitouren-/Freeride-Kollektion geplant
Ich habe schon spätestens seit der OutDoor Messe in Friedrichshafen in diesem Sommer ein Auge auf Páramo geworfen. Mit der für nächste Saison angekündigten Snowwear-Kollektion für Tourengeher und Freerider, die bei den Damen auf den Namen Esqua und bei den Männern auf den Namen Nievo hört, haben mich die sympathischen Engländer aber endgültig eingefangen. Die Jacken und Hosen kombinieren die feuchtigkeitstransportierende Nikwax Analogy Gewebetechnologie mit effektiven Ventilationsmöglichkeiten und einer Vielzahl an kleinen Details, z.B. die Verstärkungen aus Dyneema Material zum Schutz vor Abnutzung an kritischen Stellen oder innovative Spiralärmel für mehr Bewegungsfreiheit. Der Style ist einzigartig (einige würde ihn mit „so 90s“ beschreiben) und entspricht so gar nicht den sich sehr stark ähnelnden Vergleichskollektionen der großen Hersteller. Ich liebe es. Aber ich liebe auch Páramo. Spätestens seit der Pressekonferenz am 6. Februar 2017 in einem kleinen Raum auf dem Münchner Messegelände und den Tränen von Nick Brown und Amparo Chambo.
Natürlich bekommt auch dieser Artikel das St. Bergweh typische Abschlussvideo. Und weil unsere Welt in meinen Augen ziemlich im Arsch ist (und das bezieht einen Teil der Sport- und Outdoorszene mit ein), gibt es das passende und zugleich geniale (Fan-)Video von Kate Tempest, Europe is Lost: