SAAC Camp Warth-Schröcken: „Passt. Gemma!“

Zwei Worte, eine Entscheidung: „Passt. Gemma!“ Im schlimmsten Fall eine Entscheidung über Leben und Tod. Deshalb sollte sie wohlüberlegt sein. Und selbst das gibt einem keine hundertprozentige Sicherheit. Gemeint ist die Entscheidung, abseits einer offiziellen Skipiste mit Snowboard oder Ski in einen Tiefschneehang zu fahren oder aufzusteigen. Schließlich sterben
jedes Jahr in den Alpen rund 100 Menschen bei Lawinenabgängen. Und weil ich diese Entscheidung selbst auch mehrmals im Jahr treffe – und zukünftig noch häufiger treffen will – bin ich Mitte Dezember 880km von Hamburg ins Tiefschneeparadies Warth-Schröcken am Arlberg gefahren, um dort am SAAC Basic Camp und am anschließend stattfindenden SAAC 2nd Step Camp teilzunehmen. In diesem Beitrag soll es aber vorrangig erst einmal um das Basic Camp gehen. Ein weiterer Artikel zum 2nd Step Camp folgt in Kürze.

Zur Begrüßung ein paar Schneeflocken: Das St. Bergweh "Pro Team Hamburg" Teamfahrzeug fühlt sich in Warth ganz zu Hause
Zur Begrüßung ein paar Schneeflocken: Das St. Bergweh „Pro Team Hamburg“ Teamfahrzeug fühlt sich in Warth ganz zu Hause

„Endlich Winter. Endlich wieder in Warth-Schröcken“, dachte ich mir, als ich nach neun Stunden Autofahrt quer durch Deutschland im nordöstlichsten Zipfel von Vorarlberg ankomme und mich weiße Berghänge und leichter Schneefall
willkommen heißen. Ebenso herzlich ist der Empfang der rund 50 Teilnehmer durch die SAAC Bergführern Rainer Kempf und Paul Held beim einleitenden ca. dreistündigen Theorieseminar im Hotel Adler. SAAC steht für „Snow & Alpine Awareness Camps“ (ehemals: „Snow & Avalanche Awareness Camps“) und ist nicht zu verwechseln mit dem Schweizer Alpen-Club SAC. „SAAC will mit der Faszination für die Bergwelt auch das Risiko vermitteln, ohne Verbote und Regeln aufzustellen, sondern vielmehr Skifahrern und Snowboardern durch gezielte Wissensvermittlung Werkzeuge und Anregungen für bewusstes Handeln mitgeben“, heißt es auf der SAAC-Website saac.at. Im Jahr 1998 vom Snowboarder Flow Daniaux und dem Bergführer Klaus Kranebitter gegründet, zielen die Camps darauf ab, den Teilnehmern ein Basiswissen über Lawinen und Gefahren außerhalb des gesicherten Skiraumes zu vermitteln. Besonders hingewiesen werden soll auf die Gefahren im Einzugsgebiet der Wintersportgebiete – wo sich viele (aufgrund der Nähe zur Zivilisation) irrtümlich sicher fühlen. Rund 50-60 Camps werden pro Saison vom SAAC angeboten und bieten so rund 2.500 bis 3.000 Freeride- und Touren-Interessierten die Chance zu einer Teilnahme.

Nur selten passt "Good Morning" besser: Augen auf und so ein Blick - das geht tief in die Bergwehseele
Nur selten passt „Good Morning“ besser: Augen auf und so ein Blick – das geht tief in die Bergwehseele

Das anderthalbtägige Basic Camp kann dank der Unterstützung der öffentlichen Hand und von Sponsoren kostenfrei angeboten werden (Ausnahme: Liftticket für einen Tag). Entsprechend sind die verschiedenen Termine in ganz Österreich oft schon nach wenigen Minuten ausgebucht – die Wintersaison 2013/14 ist jedenfalls schon dicht, also auf die ToDo-Liste für nächste Wintersaison setzen. Man muss aber keine Angst haben, in einer Werbeveranstaltung gelandet zu sein, wenn man zur einleitenden Theorie-Session erscheint. Natürlich werden die Sponsoren kurz vorgestellt und ihnen gedankt, aber das war es dann auch schon. Der Fokus wechselt sofort auf das Wesentliche: Mittels Videos und PowerPoint präsentieren Paul und Rainer die wichtigsten Grundlagen für risikominimiertes Freeriden und Tourengehen. Dazu gehören Ausrüstungsdetails, ein Überblick über die verschiedenen Lawinenarten, Wissenswertes über den Einfluss von Wetter (speziell Wind und Sonne) und der verschiedenen Geländeformen, die Lawinengefahrenstufen und wo man diese erfährt bzw. wie man diese deutet sowie Aspekte der Dynamik von Gruppen. Nach drei Stunden und einem ausgelösten ABS-Airbag zu Vorführungszwecken ist der theoretische Teil abgeschlossen und man kann sich auf den folgenden Praxistag freuen.

LVS-Übung I: Bergführer Rainer Kempf erklärt Funktionsweise und Umgang mit LVS-Gerät und Sonde
LVS-Übung I: Bergführer Rainer Kempf erklärt Funktionsweise und Umgang mit LVS-Gerät und Sonde

Der Morgen des Praxistages bringt nach einem entspannten Frühstück (in meinem Fall im Haus Hubertus in Warth) die Einteilung in fünf Gruppen zu je zehn Personen. Ich komme in die Gruppe von Rainer Kempf, der auch den ersten Skitouren-Führer für die angrenzende Region Bregenzer Wald geschrieben hat. Die Teilnehmer sind im doppelten Sinne bunt gemischt: Während man vor fünf Jahren mit einer neon-leuchtenden Jacke oder Hose noch auffiel, scheint Mut zur Farbe heute voll angesagt – fast ein bisschen zu viel gelb und grün und blau und orange und… Auch alters- und geschlechtertechnisch ist die Mischung bunt und fast gleichmäßig verteilt, was ich sehr schön finde. Beim folgenden SAAC 2nd Step Camp sah das dann ganz anders aus: Nur ein Mädel unter den dreizehn Teilnehmern und alle so zwischen Mitte Zwanzig und Mitte Dreißig. Nach ein paar Runs im Tiefschnee in Pistennähe mit Bestimmung der Exploration, Hangneigung und den verschiedenen Geländeformen geht es nach dem Mittag zu einem imaginären Lawinenfeld. Zunächst erklärt Rainer die Funktionsweise des LVS-Geräts (gesamte LVS-Ausrüstung wird gestellt, falls nicht vorhanden) und wie man es richtig einsetzt.

LVS-Übung II: Irgendwo da liegt mein Rucksack vergraben - mit Portmonaise, Auto-Schlüssel und - clever - auf "Senden" geschaltetem Pieps
LVS-Übung II: Irgendwo da liegt mein Rucksack vergraben – mit
Portmonaise, Auto-Schlüssel und – clever – auf „Senden“ geschaltetem Pieps

Dann sind wir dran. Piepser auf „Senden“ stellen, in einen Rucksack packen und im Schnee vergraben. Und schon beginnt die systematische Ostereiersuche, bei der man sich im Ernstfall keine Fehler erlauben darf. Schließlich zeigen Studien, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit ganzverschütteter Personen bis zu einer Verschüttungszeit von maximal 18 Minuten noch bei ca. 90% liegt, danach jedoch schlagartig und rapide abnimmt. Und 18 Minuten können verdammt schnell vergehen. Alleine schon deshalb ist es angeraten, derartige Übungen immer wieder mal zu wiederholen. Wir finden den Rucksack mit dem Piepser nach rund fünf Minuten. Mit einer realistischen Situation hat das ganze jedoch wenig zu tun. Lediglich das LVS-Gerät lernt man intuitiv zu bedienen. Ein Anfang, aber noch deutlich zu wenig, um sich ruhigen Gewissens ins freie Gelände zu wagen.

LVS-Übung 3: Gefühlstest mit der Sonde - wie unterschiedlich fühlen sich Boden, Stein und Körper an
LVS-Übung 3: Gefühlstest mit der Sonde – wie unterschiedlich fühlen sich Boden, Stein und Körper an

Interessant sind die kleinen Tipps von Bergführer Rainer Kempf: Ortet man zum Beispiel mit der Sonde den Körper eines Verschütteten, ziehen viele die Sonde automatisch wieder heraus, um besser von oben graben zu können. Besser ist es aber, die Sonde stecken zu lassen, denn das beruhigt den Verschütteten. Und geschaufelt wird sowieso hangseitig, um eher beim Verschütteten zu sein und ihn seitlich aus dem Schnee ziehen zu können. Auch auf die Frage, was man denn bei mehreren Verschütteten tun solle, die man gleichzeitig ortet, hat Rainer eine eindeutige Antwort, die einem ein wenig die Kehle zuschnürt: Wird ein Verschütteter z.B. in ca. einem Meter Tiefe geortet und der zweite in drei Meter Tiefe, dann soll man sich nicht aufteilen (falls man zu zweit sucht), sondern erst einmal mit vereinter Kraft versuchen, den weniger tief Verschütteten zu bergen, da dessen Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich höher ist. Eine Entscheidung, die ich hoffentlich nie in meinem Leben treffen muss.

11 Meter Schnee pro Jahr: Das Skigebiet Warth-Schröcken ist eines der schneereichsten im ganzen Alpenraum und mittlerweile per Auenfeldjet auch mit der Ski-Arlberg-Region Lech Zürs verbunden
11 Meter Schnee pro Jahr: Das Skigebiet Warth-Schröcken ist eines der schneereichsten im ganzen Alpenraum und mittlerweile per Auenfeldjet auch mit der Ski-Arlberg-Region Lech Zürs verbunden

Fazit:
Das SAAC Basic Camp hat sich als nahezu perfekter Einstieg zur Sensibilisierung für alpine Gefahren bewährt und Warth-Schröcken als toller Gastgeber, auch wenn weniger Schnee lag als gewöhnlich um diese Jahreszeit. Man bekommt Lust, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. Denn es werden keine Verbote ausgesprochen und „Oberlehrer“ sucht man unter den Bergführern zum Glück vergeblich. Es werden einfach Fakten und Erfahrungswerte vermittelt – nicht mehr und nicht weniger. Der Transfer auf das eigene Handeln bleibt den Teilnehmern überlassen. Und eins steht doch fest: Wer sich in den Bergen bewegt, muss sich alpiner Gefahren bewusst sein. Der Rest ist gesunder Menschenverstand und viel Erfahrung. Beides kann das SAAC Basic Camp nicht ersetzen und auch nicht beibringen. Paul, einer der SAAC-Bergführer, der uns auch beim anschließenden 2nd Step Camp begleitet, fasst das ganz gut zusammen: „Das tragisch Skurrile am Alpinismus ist, dass du in brenzligen Situationen das nötige Glück brauchst, um aus deinen Fehlern lernen zu können. Leider hat nicht jeder dieses Glück.“ In diesem Sinne: Geht raus, erlebt die Berge, aber begegnet ihnen mit dem nötigen Respekt und akzeptiert Eure Grenzen. Lieber mal einen unverspurten Hang auslassen, bei dem Kopf und Bauch nein sagen, und dafür zukünftig noch viele First Lines in den PowPow ziehen.

Übrigens, für alle Freunde bewegter Bilder, hier der Imagefilm des SAAC:

http://youtu.be/KHyXYQzQ-fY

PS:
Keine Sorge liebe, treue St. Bergweh Leser, ich habe mein großes Ziel „360mit36“ (ehemals 360vor36) nicht aus den Augen verloren. Dafür geht’s über Silvester mit dem Hamburger Snowboardverein Wild & Style eine Woche nach Gargellen, im Januar mit den Bros nach Ischgl und im März noch einmal mit Wild & Style nach La Rosiere. Und im Zweifel gibt es ja immer noch Les 2 Alpes im Sommer mit Gletscher-Snowpark-Action am Vormittag und MTB-Downhill-Gehirn-Ausschalt-Runs am Nachmittag…

Sticker-Love: Schreib 'ne Mail an bjoekoe(at)gmail.com für ein paar St. Bergweh Aufkleber zum Pimpen Deines Lieblingssportgeräts
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